Gerade im
Hinblick auf die Rolle der Kommunikation in der nahen
Zukunft zeichnen sich viel konkretere Probleme ab, die
freilich angesichts jener globalen an Bedeutung
zu verblassen
scheinen. Eines dieser Probleme versteckt sich in Lord KELVINs
prägnantem Ausdruck: Everything that
exists, exists in a quantity and can, therefore, be
measured. Damit wurde er
sozusagen zum Wortführer des (freilich schon lange
vor ihm
bestehenden) Glaubens an die Quantifizierbarkeit unserer Welt und,
damit verbunden, an die endgültige Ausmerzung alles
Unlogischen und Irrationalen.
Der moderne Computer scheint
diese Hoffnung an die Schwelle ihrer Verwirklichung
gebracht zu haben. Der zukünftige Einfluß der EDV auf die
Struktur unserer Gesellschaft läßt sich derzeit auch nicht
annähernd ermessen; bereits sichtbar aber sind die ersten Symptome
dieser Entwicklung, die der rumänische Schriftsteller
VIRGIL GHEORGHIU schon 1950 beschrieb:
„Eine Gesellschaft, die sich aus Millionen von Millionen
mechanischer Sklaven und bloß 2000 Millionen Menschen zusammensetzt, wird - wenn sie auch von den Menschen beherrscht wird - die
Eigenschaften ihrer proletarischen Mehrheit haben......Die mechanischen Sklaven unserer Zivilisation behalten diese Eigenschaften bei und leben
gemäß den Gesetzen ihrer Natur..... Um seine mechanischen Sklaven verwenden
zu können, muß der Mensch sie verstehen lernen und ihre Gewohnheiten und Gesetzmäßigkeiten
nachahmen. [...] Eroberer übernehmen, wenn sie zahlenmäßig den Eroberten
unterlegen sind, die Sprache und Gewohnheiten der beherrschten Nation, sei es
der Einfachheit halber, oder aus anderen praktischen Gründen - und dies, obwohl
sie die Herren sind. Derselbe Prozeß ist in unserer eigenen Gesellschaft im
Gange, obwohl wir ihn nicht wahrhaben wollen. Wir lernen die Gesetzmäßigkeiten
und den Jargon unserer Sklaven, um ihnen Befehle geben zu können. Und langsam
und unmerklich verzichten wir auf unsere menschlichen Eigenschaften und unsere
Gesetze. Wir entmenschlichen uns, indem wir die Lebensgewohnheiten unserer
Sklaven annehmen. Das erste Symptom dieser Dehumanisierung ist die Mißachtung
des Menschlichen.“
Wer erst als
Erwachsener diese »neue Welt aus Null und Eins«
(KREUZER 1985)
betrat, dürfte aus seiner Vergangenheit noch
genügend
Immunität gegen jene Infektionen mitgebracht ha-
ben, denen man in
der Kommunikation mit dem Genossen
Computer
ausgesetzt zu sein scheint. Doch bereits auch unter
der erwachsenen
Bevölkerung des globalen »Silicon Valley«
-
ob es sich nun um
Mathematiker, Physiker, Ingenieure, Infor-
matiker oder
andere EDV-Spezialisten handelt - beginnen sich
merkwürdige
Persönlichkeitsveränderungen abzuzeichnen,
deren gemeinsamer
Nenner die Unwilligkeit oder sogar Unfä-
higkeit ist, mit
den ››unvernünftigen«, also unlogischen, irratio-
nalen,
emotionalen Aspekten des menschlichen Zusammenle-
bens - auch, oder
sogar besonders im rein persönlichen Bereich
und der
Intimsphäre - fertigzuwerden. Ganz ernsthaft sehnen
diese Menschen
leuchtenden Auges den Tag herbei, da endlich
alles ››Analoge«
(wie es in ihrer Sprache heißt) ausgemerzt und
Welt und Menschen
in den Begriffen der objektiven, »digita-
len« Logik erfaßt
sein werden. Die Digitalisierung wird so zur
modernen Vision
eines irdischen Paradieses.
Von dieser
Entwicklung ist zu befürchten, daß sie lawinen-
artig zunehmen
wird, wenn einmal die heute Acht- oder Zehn-
jährigen das
Erwachsenenalter erreichen - was uns ziemlich ge-
nau zum Anbruch
des dritten Milleniums bringt. Die Welt dieser
Kinder ist,
wenigstens in den USA, bereits weitgehend digitali-
siert. Damit soll
gesagt sein, daß der Heimcomputer (und,
nicht zu
vergessen, die Violenz der auf ihm abrufbaren elek-
tronischen
Spiele) heute in Hunderttausenden von Familien
bereits das
wichtigste Spielzeug geworden ist, und daß diese
Kinder daher
lernen, mit einer seelenlosen Maschine zu kom-
munizieren und
sich auf ihre Erfordernisse einzustellen, wäh-
rend früher das
erste nicht rein familiäre Bezugsobjekt eine
Katze oder ein
Hund gewesen sein mag. Wie subtil diese Ver-
kümmerung ist und
wie leicht sie das Weltbild eines Kindes
beeinflussen kann,
legt ein an sich unbedeutendes Beispiel
nahe: Nicht nur
nimmt der Taschenrechner diesen Kindern die
Notwendigkeit der
vorstellungsmäßigen Erfassung der Zahlen-
welt ab, sondern
die Digitaluhr läßt das Bild eines zeitlichen
Ablaufs nicht
mehr zur Ausbildung kommen, das die altmodi-
schen
(Analog-)Uhren durch die Bewegung der Zeiger vermit-
telten. Die
Bedeutung der Zeitangabe ››10 Minuten vor 12« ist
daher vielen
dieser Kinder bereits unverständlich, ganz zu
schweigen von der
Verwendung des Zifferblatts als Richtungs-
angabe z. B. in
der Navigation oder Raumorientierung. (Dies
soll nicht
heißen, daß die Vorstellung der Zeit als eines kreis-
förmigen Ablaufs
per se besondere Wichtigkeit habe; das Bei-
spiel soll nur
zeigen, wie sich subtile Änderungen im Weltbild
unzähliger
Menschen durch den Gebrauch von Gegenständen
des Alltagslebens
ergeben können.)
Ein weiteres
bereits unübersehbares Symptom unserer
kommunikativen
Zukunft sind die Folgen der Informations-
Überschwemmung
auf allen Gebieten. Die technischen Mög-
lichkeiten der
Speicherung und daher auch der sofortigen Ver-
fügbarkeit von
Information haben Ausmaße erreicht, von
denen wir Laien
uns auch keine annähernde Vorstellung ma-
chen können.
Hierzu ein Berufener, nämlich der Philosoph
JÜRGEN MITTELSTRASS
(1986):
„Derzeit ist viel, vor allem in Politikermunde, von einer
Informationsgesellschaft die Rede, zu der die bürgerliche Gesellschaft aufgebrochen
sei. Mit diesem Schlagwort garniert man die Medienpolitik und die Vorstellung
von einer technologischen Zukunft, in der sich die gesellschaftlichen
Rationalitäten vornehmlich nach den Einfällen der Ingenieure richten sollen.
Was dabei [. . .] übersehen wird, ist die Opposition von Information und
Wissen, der Umstand nämlich, daß sich Information an die Stelle von Wissen zu
setzen sucht und damit einer Art neuen Oberflächenexistenz das Wort redet.
Während Wissen Gegensatz von Dummheit ist, gilt dies von Information nicht in
allen Fällen. Gemeint ist: Wir durchschauen immer weniger, was uns in Form von
Informationen zur Verfügung steht. [. . .] Wissen kann man sich nur als
Wissender aneignen, Informationen muß man glauben.“
.... Weit mehr als es die
Propagandaministerien totalitärer Staaten bis-
her
fertiggebracht haben, erzeugt das Fernsehen eine freiwillige Unterwerfung
und Gleichschaltung des Denkens und Fühlens, wie sie in
der Geschichte der Menschheit wohl einmalig dasteht - nicht
weil die Menschen früherer Epochen vielleicht
immuner waren,
sondern weil die moderne Technologie zur Vertrottelung und
Verrohung von Millionen von Individuen noch nicht
bestand. Erst das Fernsehen lehrt uns, wie wir sprechen, handeln und
uns kleiden sollen, welche Probleme der elegante, moderne
Mensch haben darf, und wie er mit ihnen (meist
gewalttätig) fertig werden kann. Auch hierzu nur ein Zitat aus
berufener Quelle, nämlich aus NEIL POSTMANs (1985) Buch „Wir
amüsieren uns zu Tode“:
„HUXLEY hat gezeigt, daß im technischen Zeitalter die kulturelle
Ver-
wüstung weit häufiger die Maske grinsender Betulichkeit trägt
als die
des Argwohns oder des Hasses. In HUXLEYS Prophezeiung ist der
Große Bruder gar nicht erpicht darauf, uns zu sehen. Wir sind
darauf
erpicht, ihn zu sehen. Wächter, Gefängnistore oder
Wahrheitsmini-
sterien sind unnötig. Wenn ein Volk sich von Trivialitäten
ablenken
läßt, wenn das kulturelle Leben neu bestimmt wird als eine
endlose
Reihe von Unterhaltungsveranstaltungen, als gigantischer
Amüsier-
betrieb, wenn der öffentliche Diskurs zum unterschiedslosen
Geplap-
per wird, kurz, wenn aus Bürgern Zuschauer werden und ihre
öffent-
lichen Angelegenheiten zur Varieté-Nummer herunterkommen, dann
ist die Nation in Gefahr - das Absterben der Kultur wird zur
realen
Bedrohung.“
Die grenzenlose
Verkümmerung all dessen, was jahrtau-
sendelang für die
Vornehmsten Eigenschaften und Möglichkeiten des Menschen
galt, hinterläßt das schon eingangs erwähnte Gefühl der Leere
und der vagen Bedrohung, und gibt Anlaß zu meist hilf- und
planlosen Versuchen, diese Leere irgendwie zu
füllen…… Bei näherem
Hinsehen erweisen sich die wunderbaren ›Ideen‹
der modernen Weltbeglücker
praktisch ausnahmslos als bereits in früheren
Epochen
verkündet, bald aber als nutzlos, wenn nicht gar unmenschlich
erkannt und verworfen. Plus ça change,
plus c'est la même chose, sagt die Weisheit des Sprichworts. Auch in dieser Hinsicht wäre
also die ganze Information verfügbar, aber ihre bloße
Verfügbarkeit ist eben nicht gleichbedeutend mit Wissen……
Leben entwickelt
sich bekanntlich in kleinsten Schritten,
während alle großen Änderungen katastrophisch sind. Auch im
Leben des einzelnen scheint es nicht anders zu
sein: Es sind
kleine Schritte, nicht selten sogar unvorhergesehene
Zufallsereignisse, die zum Ausgangspunkt wichtiger Neuentwicklungen
werden können……
Aber nur wenige Dinge erzeugen rascheren
Widerstand und moralische Entrüstung, als
eben eine
Philosophie der kleinsten Schritte, wie sie schon KARL POPPER
empfiehlt.
Und mit ihm kommt einem auch der Philosoph ROBERT
SPAEMANN in den Sinn, der den Mut hat, darauf zu
verweisen, daß die einzig humane Definition des
Friedens nur eine
negative, nämlich die Abwesenheit von Gewalt, sein kann,
und daß jede positive Definition eo ipso
zu Gewalt und
Unmenschlichkeit führen muß.
Die für viele Idealisten und
Ideologen allzu bittere Pille ist:
Wer
das summum bonum anstrebt, setzt damit auch schon das
summum malum.
P. Watzlawik
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"Sie eilen zur Untertänigkeit".
Racine, Britannicus.
P. Watzlawik
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"Sie eilen zur Untertänigkeit".
Racine, Britannicus.
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