Lichtenberg:
Man empfiehlt Selbst-Denken oft nur, um die Irrtümer anderer beim Studieren von Wahrheit zu unterscheiden. Es ist ein Nutzen, aber ist das alles? wie viel unnötiges Lesen wird uns erspart. Ist denn Lesen Studieren? Es hat jemand mit großem Grunde der Wahrheit behauptet, daß die Buchdruckerei Gelehrsamkeit zwar mehr ausbreitet aber im Gehalt vermindert hätte. Das viele Lesen ist dem Denken schädlich. Die größten Denker, die mir vorgekommen sind, waren gerade unter allen den Gelehrten, die ich habe kennen gelernt die, die am wenigsten gelesen hatten. Ist denn Vergnügen der Sinne gar nichts?
Wenn man die Menschen lehrt, wie sie denken
sollen und nicht ewig hin, was sie denken sollen: so wird auch dem
Mißverständnis vorgebeugt. Es ist eine Art von Einweihung in die Mysteria der
Menschheit. Wer im eignen Denken auf einen sonderbaren Satz stößt, kommt wohl
wieder davon ab, wenn er falsch ist. Ein sonderbarer Satz hingegen, der von
einem Mann von Ansehen gelehrt wird, kann Tausende, die nicht untersuchen, irre
führen. Man kann nicht vorsichtig genug sein in Bekanntmachung eigner
Meinungen, die auf Leben und Glückseligkeit hinaus laufen, hingegen nicht emsig
genug, Menschen Verstand und Zweifel einzuschärfen. Hieher gehört die Sentenz every
man's reason is every man's oracle.
Die Gottes-Gelehrten können
nicht behutsam genug sein bei Ausdehnung des Richteramts der Offenbarung über
Dinge, wo die Vernunft auch dereinst entscheiden wird. Bei dem jetzigen Zustand
unserer Kenntnisse spricht sie mit Recht die Sprache des Zweifels, allein wird
sie immer so zu sprechen Ursache haben? Die Vernunft macht täglich Eroberungen aus
dem Vergangnen und durch diese Eroberungen gestärkt nützt sie das Gegenwärtige.
Es könnte sein, ich hoffe es nicht, daß die christliche Religion durch
Begebenheiten künftiger Zeiten vieles verlöre.
Die Naturkündiger der vorigen
Zeit wußten weniger als wir, und glaubten sich sehr nahe am Ziel: wir haben sehr
große Schritte darauf zu getan und finden nun, daß wir noch sehr weit ab sind.
Bei den vernünftigsten Weltweisen nimmt die Überzeugung von ihrer Unwissenheit
zugleich mit ihrem Wachstum an Erkenntnis zu.
***
Man wird bei allen Menschen von Geist eine Neigung finden sich kurz auszudrücken, geschwind zu sagen was gesagt werden soll. Die Sprachen geben daher keine schwache Kennzeichen von dem Charakter einer Nation ab. Wie schwer ist es nicht einem Deutschen den Tacitus zu übersetzen. Die Engländer sind schon konziser als wir, ich meine ihre guten Schriftsteller.
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