Daher ist es betrachtungswert, ja wunderbar, wie der Mensch neben seinem Leben
in concreto immer noch ein zweites
in abstracto führt. Im ersten ist er allen Stürmen der Wirklichkeit und dem Einfluß der Gegenwart preisgegeben, muß streben, leiden, sterben wie das Tier. Sein Leben in abstracto aber, wie es vor seinem vernünftigen Besinnen steht, ist die stille Abspiegelung des ersten und der Welt, worin er lebt, ist jener eben erwähnte verkleinerte Grundriß. Hier im Gebiet der ruhigen Überlegung erscheint ihm kalt, farblos und für den Augenblick fremd, was ihn dort ganz besitzt und heftig bewegt: hier ist er bloßer Zuschauer und Beobachter.
In diesem Zurückziehn in die Reflexion gleicht er einem Schauspieler, der seine Szene gespielt hat und, bis er wieder auftreten muß, unter den Zuschauern seinen Platz nimmt, von wo aus er, was immer auch vorgehn möge, und wäre es die Vorbereitung zu seinem Tode (im Stück), gelassen ansieht, darauf aber wieder hingeht und tut und leidet, wie er muß.
A. Schopenhauer
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