Allenthalben wird von diesen Eliten der Rechtsruck beklagt. Die Frage nach dem WARUM darf man nicht stellen, am wenigsten jenen, die am lautesten lamentieren. Hier ⇊ eine mögliche Erklärung
Frage: Der „selbstgerechte Blick
auf die Anderen", wie Ihr Buch im Untertitel heißt, scheint etwas zu sein,
das es in allen Gesellschaften immer gibt. Warum jetzt dieses Buch?
Laura Wiesböck: Es
stimmt, soziale Abgrenzung passiert immer, in allen gesellschaftlichen
Schichten. Und doch scheint es mir so, dass insbesondere im akademischen Milieu
vor allem die sozialen Urteile sozial weniger privilegierter Milieus im
Mittelpunkt stehen. Es stehen primär die Personen im Fokus, die im
Niedriglohnsektor arbeiten, keinen hohen Bildungsstand haben und andere
Gruppen, zum Beispiel Migranten, abwerten. Es ist eine Form von
Scheinheiligkeit, zu glauben, man selbst sei aber tolerant und Abwertung und
Abgrenzung passierten nur in anderen Milieus. In Wahrheit hat niemand eine
weiße Weste, was das betrifft.
Ist „Toleranz" damit auch
eine Form, turn und Selbstständigkeit verbunden sich abzugrenzen,
.selbstgerecht" auf und der „freie" Charakter der Arbeit die Anderen
zu blicken?
Ja, denn: Toleranz
manifestiert sich erst im Umgang mit anderen, deren Haltungen man ablehnt und
die man aber gelten lässt. Diese Kombination aus ablehnen und gelten lassen ist
das, was Toleranz ausmacht. Toleranz zeigt sich eben nicht, wenn man sich
sozial abschottet, in den besseren Wohngegenden wohnt, die Kinder auf die
Privatschule schickt und sich nur mit Gleichgesinnten umgibt, um sich
gegenseitig zu versichern wie weltoffen man ist.
Für dieses Milieu, das Sie
beschreiben, ist Toleranz aber ein ganz wesentlicher Bestandteil des
Selbstbildes. Wie kommt da die Abwertung von anderen sozialen Milieus hinein?
Nehmen wir das
Beispiel „Arbeit". In diesem idealtypischen gebildeten urbanen Milieu ist
es ein Anspruch, dass man sich im Job kreativ selbst verwirklicht. Oft ist das
mit Freelancer-
tum und
Selbstständigkeit verbunden sich abzugrenzen, .selbstgerecht" auf und der
„freie" Charakter der Arbeit wird betont, während das „Angestelltendasein"
und der „Brotjob" abgewertet werden. Das ist auch eine Form des Elitismus.
Den meisten ist nämlich nicht bewusst, dass Selbstständigkeit und
Unternehmertum sozial vorstrukturiert sind. Das heißt. wenn ich in eine Familie
geboren bin, die mehr Geld hat und vielleicht auch mehr Kontakte, habe ich
bessere Chancen, als Selbstständige erfolgreich zu sein. Wenn Steve Jobs den
Studierenden in Standford empfiehlt, “Macht. was Euch Spaß macht", dann
ist das Teil dieses elitären Diskurses. Zu den Arbeiterlnnen in China, die
seine Handys herstellen, hätte er das natürlich nicht gesagt.
Genau dieses akademische urbane
Milieu, zu dem wir ja auch zählen, nimmt aber für sich Anspruch, besonders
„nachhaltig" zu leben, zumindest ist das ein Ziel.
Ja, das stimmt.
Nur: Dieser nachhaltige Konsum von Öko-Kleidung, Bio-Lebensmitteln usw. wird ja
ebenfalls genutzt, selbstgerecht über jene
zu urteilen, die den Billig-Kaffee beim Discounter kaufen. Es wird nicht
in Betracht gezogen, dass es eigentlich Geld, Zeit, Wissen und Bildung braucht,
um diesen "nachhaltigen" Lebensstil zu verfolgen. Das Interessante
ist ja, dass bei allem Anspruch, nachhaltig zu sein, dennoch Konsum propagiert
wird. Es wäre nachhaltiger, den Pullover im Second-Hand-Geschäft zu kaufen,
statt den Pullover aus Ökobaumwolle von dem angesagten Label in Kopenhagen.
Wie weit ist das
Überlegenheitsgefühl angesichts des eigenen toleranten, gesunden und
nachhaltigen Lebensstils von der Entsolidarisierung entfernt? Wir erleben ja
zugleich, dass sich die Einkommen immer weiter auseinanderentwickeln und die
Ungleichheit größer wird.
Wenn man sich die
Einkommensverteilungen über die letzten Jahrzehnte ansieht, stellt man fest,
dass nicht nur eine immer deutlichere Polarisierung entsteht, sondern dass auch
die Mittelschicht erodiert, wie man so schön sagt. Im politischen Bereich
stehen sich inzwischen zwei Lager - das progressive und das rechtspopulistische
Milieu - gegenüber, die sich gegenseitig als Feinde wahrnehmen. Neu ist, dass
es keine Bereitschaft zum Dialog mehr gibt. Noch in den 1990er Jahren war eine
unterschiedliche Partei-Orientierung kein Kriterium dafür, ob man befreundet
sein konnte oder nicht. Mittlerweile haben auch reale und subjektive
Unsicherheiten zugenommen: Am Arbeitsmarkt gab es Veränderungen wie
Arbeitsmarktflexibilisierung, befristete Verträge, Teilzeit, Leiharbeit.
Zugleich wurde der Sozialstaat massiv eingeschränkt und Sozialleistungen
gekürzt. Und schließlich wirkt sich das auf die Familien aus, die nicht mehr
den stabilen Halt bieten können: Es gibt Scheidungen, Patchwork-Familien und
Alleinerziehende. Insgesamt ist es ein erodierendes Sicherheitsnetz.
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Laura Wiesböck ist Soziologin an der
Universität Wien, wo sie zu Formen, Ursachen und Auswirkungen sozialer
Ungleichheit forscht. Ihr Buch ,,In besserer Gesellschaft. Der selbstgerechte
Blick auf die Anderen" ist im Verlag Kremayr & Scheriau erschienen.
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